Rechtsanwalt Karl Engels Betäubungsmittel
Die "nicht geringe Menge" Amphetamin

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat durch Urteil vom 11.04.1985 (1 StR 507/84) entschieden, dass bei Amphetamin-Zubereitungen die nicht geringe Menge bei einem Wirkstoffgehalt von 10g Amphetamin-Base beginnt.

Urteilsgründe (auszugsweise):

(...) Der Senat ist der Auffassung, daß 10g reines Amphetamin (Amphetamin-Base) als eine "nicht geringe Menge" (...) anzusehen sind.

1. Zur Wirkung von Amphetamin (Anlage III Teil A zu § 1 Abs. 1 BtMG) und zur Frage der Gewöhnung hat der Senat Gutachten des Bundesgesundheitsamts und des Bundeskriminalamts eingeholt. Er entnimmt diesen Gutachten und anderen wissenschaftlichen Äußerungen folgendes:

a) Im illegalen Handel wird Amphetamin in aller Regel in Form von Zubereitungen vertrieben, die den Wirkstoff anteilig enthalten. Das wasserlösliche, intravenös konsumierbare Amphetamin-Sulfat enthält 73 Gewichts-Prozent Wirkstoff (Ainphetamin-Base). Im Stoff, wie er üblicherweise vertrieben wird, ist der Anteil des reinen Amphetamins niedriger, weil dieser Stoff Beimengungen enthält.

b) Ist bei einem Konsumenten eine Toleranzentwicklung noch nicht eingetreten, so stellen sich – je nach individueller Empfindlichkeit – charakteristische Amphetaminwirkungen schon nach der Einnahme von Einzeldosen zwischen 2, 5 und 20mg ein. Durch Dosen über 20mg werden die Wirkungen intensiviert. Die hohe Dosis beginnt für den nicht Amphetamingewöhnten bei 50mg. Toleranzentwicklung und der Wunsch, stärkere Effekte zu erleben, führen zu immer stärkeren Dosen. Insbesondere bei intravenöser Verabreichung kann es zu rapiden Dosissteigerungen kommen. Es können Einzeldosen von 160mg Amphetamin bis zu zehnmal täglich oder auch Einzeldosen von 1000mg in Abständen von wenigen Stunden injiziert werden. Bei oraler Einnahme kommt es zu Einzeldosen von 200mg Amphetamin und mehr.

c) Amphetaminmißbrauch führt zu psychischer, nach überwiegender Meinung aber nicht zu körperlicher Abhängigkeit. Durch ihn können jedoch nicht nur psychische, sondern auch physische Folgeschäden entstehen, die sehr schwerwiegend sind (Huber, Psychiatrie 3. Aufl. S. 330; vgl. auch Halbach Deutsches Ärzteblatt 1981, 2398, 2400). Dazu zählen z. B. ein "überwacher" Zustand, ängstliche Getriebenheit, Aggressivität, Depressionen, illusionäre Verkennungen, Störungen des Urteilsvermögens, Depersonalisationserscheinungen, Hyperthermie, Gehirnschädigungen, Kreislaufkollaps oder Herzversagen. "Amphetamin-Psychosen" treten nicht nur als Folge eines chronischen Mißbrauchs, sondern auch als akutes Vergiftungssymptom auf. Die Gefahr einer Wiederaufnahme der Mißbrauchsgewohnheiten nach einer Entzugsperiode ist hoch. Als psychisches Stimulans erweist sich Amphetamin häufig als Schrittmacher für eine Polytoxikomanie: Es kommt dann zu einem Circulus vitiosus von Amphetamin- und Narcoticum-Mißbrauch (Möller, Pharmakologie 5. Aufl. S. 446). Persönlichkeitsveränderungen gehen mit beruflichem und sozialem Abstieg einher (Huber aaO).

2. Das in Amphetamin liegende Abhängigkeits-und Gefährdungspotential wie auch der Anreiz, zur Erzielung euphorischer Wirkungen die Dosis fortgesetzt zu steigern, lassen diesen Stoff keinesfalls als weniger gefährlich erscheinen als Cannabisprodukte, bei denen die "nicht geringe Menge" mit 7, 5g Tetrahydrocannabinol beginnt (BGHSt 33,8). Der Konsum von Haschisch bewirkt allerdings eine erhöhte Gefahr des Umsteigens auf harte Drogen.

Bei Heroin drohen wesentlich schwerere Suchtfolgen. Wegen der außerordentlichen Gefährlichkeit schon sehr geringer Stoffquantitäten hat der Senat entschieden, daß das Tatbestandsmerkmal "nicht geringe Menge" zu bejahen ist, wenn der Täter ein Heroingemisch einführt, das mindestens 1,5g Heroinhydrochlorid enthält (BGHSt 32,162).

Bei Amphetaminkonsum sind Todesfälle selten. Verstärkt ist die Suchtgefährlichkeit auch bei Kokain. Mindestens 5g Kokainhydrochlorid sind nach der Rechtsprechung eine "nicht geringe Menge" (BGHSt 33,133). Angesichts der aufgezeigten Beschaffenheit, Wirkungsweise und Gefährlichkeit von Amphetamin meint der Senat – unter Berücksichtigung erheblicher Schwankungen und Unterschiede in den Verbrauchergewohnheiten und Mißbrauchfolgen und der für Heroin, Cannabisprodukte und Kokain angenommenen Mindestmengen wie auch der für die Festsetzungen maßgeblichen Erwägungen –, daß mindestens 10g reines Amphetamin (Amphetamin-Base) das Merkmal der "nicht geringen Menge" erfüllen. Zu diesem Ergebnis sind auch die toxikologischen Sachverständigen der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes auf ihrem Symposium am 21. und 22. Mai 1984 gekommen (vgl. Megges/Steinke/Wasilewski NstZ 1985, 163, 164).


BGHSt 33, 169